November 22, 2025
Eine bittere Pille
Kaum eine Diagnose wird zurzeit in der Pferdewelt so häufig gestellt wie Cushing. Eine Erkrankung, die bis in die 80er Jahre in der Veterinärliteratur als „sehr seltene Erkrankung bei sehr alten Pferden“ beschrieben wurde, soll plötzlich jedes fünfte Pferd befallen – egal ob jung oder alt. Was ist da los? Und was genau ist denn eigentlich dieses Schreckgespenst Cushing?
Faktencheck
Die Definition von Cushing
Das Krankheitsbild von Morbus Cushing wurde in der Humanmedizin erstmals 1937 von Harvey Cushing beschrieben und nach diesem benannt. Morbus Cushing ist eine Erkrankung der Hypophyse. Ein gutartiger Tumor an der Hypophyse (Hypophysenadenom) produziert zu viel ACTH (Adrenocorticotropes Hormon), wodurch es zu einer Überstimulation der Nebennierenrinde kommt, die daraufhin vermehrt Cortisol ausschüttet. Durch diesen Cortisolüberschuss entstehen die für das Krankheitsbild typischen Symptome.
Diese Symptomkomplexe werden alle unter dem Begriff Cushing-Syndrom (Hypercortisolismus = zu viel Cortisol) zusammengefasst. Während bei einem Cushing-Syndrom die Ursachen für den erhöhten Cortisolspiegel sehr vielfältig sind, wird beim Morbus Cushing immer ein gutartiger Tumor dafür verantwortlich gemacht. Ein „Syndrom“ ist immer eine Kombination aus verschiedenen Symptomen, die auf ein bestimmtes Krankheitsbild hinweisen können, deren Ursache aber noch nicht abschließend geklärt ist. Bei der Krankheit Cushing (Morbus = Krankheit) ist die Ursache klar. Das ist ein ganz wichtiger Unterschied.
Bis in die 70er Jahre ist man in der Veterinärmedizin davon ausgegangen, dass Morbus Cushing bei Mensch und Pferd identisch ist, bis man diverse Pferde mit Cushing-Symptomen seziert hat und feststellte, dass sich meist gar kein Tumor an der Hypophyse befindet. Somit handelte es sich hier definitionsgemäß um eine Form des Cushing-Syndroms und nicht um Morbus Cushing.
Um sich klar abzugrenzen, wird die Fehlfunktion in der Hypophyse bei Pferden mittlerweile PPID genannt: Pituitary Pars Intermedia Dysfunction. Dieser Begriff beschreibt die genaue Stelle in der Hypophyse, die betroffen ist – die Pars Intermedia oder der Zwischenlappen.
Im Internet wird mittlerweile häufig von „echtem“ Cushing, also der Krankheit im eigentlichen Sinne, und Pseudo-Cushing gesprochen. Mit Pseudo-Cushing sind in diesem Fall alle Krankheitsbilder oder Symptomkomplexe gemeint, die unter den Begriff Cushing-Syndrom fallen würden – in diesem Fall zusammengefasst unter Equines Cushing-Syndrom (ECS). Das PPID ist gleichzusetzen mit dem echten Cushing.
Dass so viele verschiedene Begriffe im Netz herumgeistern, ist verwirrend. Oftmals werden ECS und PPID als ein und dasselbe dargestellt. Nimmt man die Begriffe jedoch beim Wort, passt das nicht ganz. PPID ist eine mögliche Form des Equinen Cushing-Syndroms. Das Equine Cushing-Syndrom ist aber nicht automatisch auch immer PPID.
Die Ursache für PPID oder echtes Cushing bei Pferden
Anders als beim Menschen wird vermutet, dass die Ursache für die Fehlfunktion der Hypophyse im Hypothalamus zu finden ist und an einem Dopaminmangel liegt. Wenn etwas vermutet wird, bedeutet das immer, dass es noch längst nicht ausreichend erforscht ist. Es wird also vermutet, dass mit zunehmendem Alter die Zellen im Hypothalamus absterben und somit weniger Dopamin ausgeschüttet wird. Dopamin ist wichtig für den Hormonkreislauf, weil es unter anderem dafür sorgt, dass die Hypophyse aufhört, ACTH zu produzieren, wenn genügend Cortisol im Blut ist. Das Dopamin bremst also die Hypophyse.
Bei einem zu niedrigen Dopaminspiegel fehlt diese Bremse. Die Hypophyse schüttet dauerhaft ACTH aus und die Nebennierenrinde produziert weiter Cortisol. Durch die ständige Aktivität der Hypophyse bildet sich ein gutartiger Tumor (Adenom). So die Vermutung.
Die Ursache für das Cushing-Syndrom oder Pseudo-Cushing
Die Ursachen für einen Cortisolüberschuss sind vielfältig, lassen sich jedoch meist auf falsche Haltung und Fütterung, chronischen Stress, eine versteckte Selenvergiftung, eine Insulinresistenz oder die Entgiftungsstörung KPU (Kryptopyrrolurie) zurückführen.
Treten Stoffwechselentgleisungen bei Pferden auf, sollte man sich auch immer die Hufe anschauen. Ein funktionierender Hufmechanismus ist nämlich genauso essentiell für den Stoffwechsel wie eine gesunde Darmflora.
Ein Pferd hat eigentlich fünf Herzen, so sagt man – das in der Brust und seine vier Hufe. Der Hufmechanismus, also die Ausdehnung und Verengung des Hufes bei jedem Schritt, wirkt wie eine Pumpe, die das venöse Blut aus den Beinen nach oben zurück zum Herzen befördert. Dieser Mechanismus ist entscheidend für die Zirkulation des Blutes, da unterhalb der Sprung- und Karpalgelenke keine Muskeln vorhanden sind, die den Blutrückfluss unterstützen könnten. Ohne Bewegung und einen gesunden Hufmechanismus kommt es zu einer eingeschränkten Durchblutung, was den gesamten Kreislauf und den Stoffwechsel negativ beeinflusst.
Außerdem übernehmen die Hufe auch eine wichtige Funktion in der Entgiftung. Deswegen werden sie auch gerne als kleine Recyclingstationen bezeichnet. Stoffwechselabfälle und Giftstoffe werden über den Huf ausgeschieden. Durch einen intakten Hufmechanismus werden also die anderen Entgiftungsorgane wie Leber, Niere und Haut entlastet.
Schon leichte Fehlstellungen oder Beschläge können den Hufmechanismus beeinträchtigen. Ist dieser über Jahre hinweg eingeschränkt und kommen dann vielleicht noch ein oder zwei andere Komponenten, wie eine falsche Fütterung oder Bewegungsmangel hinzu, kann das durchaus zu einer Stoffwechselentgleisung führen.
Stressauslöser im Leben eines Pferdes
Sämtliche Stoffwechselerkrankungen, die unter dem Begriff Cushing-Syndrom zusammengefasst werden, gehen mit einem erhöhten Cortisolspiegel einher. Schauen wir uns also einmal an, was denn das ACTH und somit auch das Cortisol eigentlich ansteigen lässt:
Cortisol ist ein Stresshormon. Stresshormone sorgen dafür, dass uns bei drohender Gefahr genügend Energie zur Verfügung steht, um entweder fliehen oder kämpfen zu können. Bei uns Menschen wird in so einem Fall die Adrenalinachse aktiviert, beim Pferd die Cortisolachse. Das bedeutet, die Hypophyse beginnt unverzüglich ACTH auszuschütten, damit die Nebennierenrinde Cortisol produziert.
Es gibt unzählige Auslöser für Stress im Alltag eines Pferdes. Die häufigsten fasse ich hier einmal grob zusammen:
Die Haltungsbedingungen
Kann ein Pferd seine natürlichen UND individuellen Bedürfnisse nicht befriedigen, weil die Bedingungen, unter denen es Leben muss, für dieses spezielle Pferd nicht passen, gerät es schnell in Dauerstress. Das trifft sowohl auf Pferde in Boxenhaltung als auch auf Offenstallpferde zu und betrifft Turnier- und Freizeitpferde gleichermaßen. Wir dürfen uns beispielsweise immer klarmachen, dass wir Menschen bestimmen, welche Pferde zusammenleben müssen. Es sind immer Zwangsgemeinschaften. Nur, weil alle zur Gattung Pferd gehören, heißt das nicht, dass die Pferde sich auch automatisch mögen. Die Herdenzusammenstellung kann also Stress auslösen. Rangniedrige Pferde, die permanent gescheucht werden, können genauso Stress haben wie ranghohe, die viel Verantwortung tragen. Platzmangel kann ein Problem sein oder fehlende Ruheplätze zum Liegen. Häufige Veränderungen in der Herdenkonstellation oder eine laute Umgebung sind ebenfalls Stressoren.
Die Fütterung
Für das Pferd als Fluchttier und großer Pflanzenfresser ist Futter die wichtigste Ressource. Der gesamte Magen-Darmtrakt ist darauf ausgelegt, permanent etwas zu tun zu haben. Es ist also wichtig, dass Pferde rund um die Uhr Raufutter in geeigneter Form zur Verfügung haben und keine langen, „künstlich“ herbeigeführten Fresspausen entstehen. Erwiesenermaßen kann die Fütterung in Mahlzeiten oder aus zeitlich gesteuerten Raufen ein Pferd stressen. Erst hat es Stress, weil das Futter fehlt, dann hat es Stress, weil es möglichst schnell möglichst viel von der kostbaren Ressource verschlingen muss, bevor sie ihm wieder entzogen wird. Dann kommt es bei der Fütterung in Mahlzeiten häufig zu Streit unter den einzelnen Herdenmitgliedern – wieder Stress. Auch wenn nicht genügend Fressplätze zur Verfügung stehen, zum Beispiel nur eine einzige Heuraufe für zu viele Pferde auf dem Paddock ist, entsteht Stress. Alleine das Fütterungsmanagement birgt also ein enorm hohes Stresspotential.
Der Mensch
Die Harmonie in einer Gemeinschaft ist für Pferde extrem wichtig, denn eine funktionierende Herde sichert das Überleben. Auch in der Beziehung zu uns Menschen streben Pferde nach Harmonie. Werden sie unfair behandelt, zu Leistungen gezwungen, die sie überfordern oder zu stark unter Druck setzen, führt das zu Stress. Und hier ist es egal, ob es sich um einen Turniercrack oder ein Therapiepferd handelt! Psychische und physische Gewalt gegen Pferde kann überall stattfinden. Allein der Umgangston an einem Stall oder die Atmosphäre, das sogenannte Stallklima, haben Auswirkungen auf das Wohlbefinden eines Pferdes.
Schmerzen
Diese können von außen zugefügt werden, zum Beispiel durch den Menschen, oder aber durch chronische Krankheiten entstehen. Pferde mit Arthrose oder Magengeschwüren haben beispielsweise häufig Stress durch die Schmerzen und somit einen erhöhten Cortisolspiegel.
Stoffwechselprobleme
Ein gesunder Stoffwechsel beginnt bei einem gesunden Darm und gesunden Hufen. Pferde sind sehr darauf bedacht, ihr Mikrobiom in Ordnung zu halten, und wählen sorgfältig die passende Nahrung aus – sofern sie ihnen denn zur Verfügung steht. Wildpferde fressen nicht nur Gras, sie fressen alle möglichen Pflanzen, Zweige, Rinden, Obst und Wurzeln. Sogar manchmal Erde, wenn sie die darin enthaltenen Mikroorganismen für ihr Darmmilieu benötigen. Ein gut funktionierender Stoffwechsel hält ein Pferd fit und gesund. Treten hier jedoch Probleme auf, fühlt es sich dadurch nicht einfach nur unwohl: Es weiß auch instinktiv, dass es geschwächt eine leichtere Beute ist.
Stoffwechselentgleisungen sind ein bislang unterschätzter Stressauslöser, und sie kommen so bunt daher wie ein Blumenstrauß. Alle Arten von Hautproblemen, Juckreiz oder Ekzem können dazugezählt werden, aber auch Verdauungsprobleme, Allergien, Mauke, Apathie oder schlechte Hufe. Und natürlich zählen auch all die sogenannten Wohlstandskrankheiten dazu, wie ECS, PPID, EMS oder PSSM. Auch die Kryptopyrrolurie (KPU) und die Insulinresistenz zählen zu den Stoffwechselentgleisungen und können einem Pferd massive Probleme bereiten.
Diese Aufzählung der Stressoren ist sicherlich unvollständig, macht aber wohl ausreichend deutlich, dass es erschreckend viele Stressquellen gibt, die das Cortisol ansteigen lassen und zu Dauerstress im Leben eines Pferdes führen können.
Anzeichen für einen Cortisolüberschuss
- langes, lockiges Fell, das nicht ausfallen möchte (Hirsutismus)
- Muskelabbau
- rapide Gewichtsabnahme bei ausreichend Futter und gutem Fressverhalten
- Hautkrankheiten
- Hufrehe zu untypischen Jahreszeiten und mit untypischem Erscheinungsbild
- schwaches Immunsystem, anfällig für Infekte und Parasiten
- starkes Schwitzen ohne jeglichen Grund
- häufiges Urinieren und großer Durst
- Ödeme über den Augen
- Pferde wirken depressiv
- Leistungsabfall
Die Diagnose
Die Diagnostik von Stoffwechselerkrankungen bei Pferden steckt noch in den Kinderschuhen. Um bei einem Pferd echtes Cushing nachzuweisen, müsste man es eigentlich in die Röhre schieben und eine Aufnahme von seinem Kopf machen. So könnte man mit Sicherheit sagen, ob ein Hypophysenadenom vorhanden ist. Das macht man natürlich nicht. Auch den vermuteten Dopaminmangel als Ursache kann man schlecht nachweisen. Deswegen versucht man es auf dem indirekten Weg: über das ACTH. Wenn der ACTH-Wert erhöht ist, geht man davon aus, dass ein Dopaminmangel vorliegt.
Dass diese Annahme tückisch ist, versteht sich von selbst. Schließlich haben wir uns eben angeschaut, wie viele Gründe es dafür gibt, dass das ACTH erhöht ist. Ein Dopaminmangel ist nur eine mögliche Erklärung von vielen.
Doch nicht nur deswegen ist der ACTH-Wert alleine für die Diagnostik nicht geeignet. Dieser Wert unterliegt zusätzlich auch noch großen Schwankungen – schon im Laufe eines Tages. Nur die bloße Anwesenheit des Tierarztes mit Spritze kann schon Stress in einem Pferd auslösen und das ACTH nach oben treiben. Allzu häufig wird dann auch noch in akuten Reheschüben der Wert bestimmt. Wenn das Pferd gerade starke Schmerzen oder akuten Stress hat, ist es ganz logisch, dass das ACTH erhöht ist!
Wegen der Schwankungen müsste man außerdem eigentlich über einen längeren Zeitraum und mehrfach am Tag Blut abnehmen, um einen Mittelwert zu erhalten, aber das ist natürlich nicht umsetzbar. So handelt es sich hier immer nur um eine Momentaufnahme.
Ein erhöhter Wert sagt letztlich erstmal nur eins aus: Das Pferd hat einen erhöhten Cortisolspiegel, also Stress. Und wir haben ein Pferd mit einer Stoffwechselstörung vor uns, denn es hat vermutlich ein paar der oben genannten Symptome. Ob es sich hierbei jetzt aber tatsächlich um PPID handelt oder um eine andere Form des Cushing-Syndroms, kann man nicht alleine am ACTH-Wert festmachen. Und auch nicht so richtig an den anderen Symptomen, die das Pferd noch aufweist, denn die sind ja bei PPID und Pseudo-Cushing identisch.
Bevor also zu voreilig eine falsche Diagnose ausgesprochen, und das Pferd für unheilbar krank erklärt wird, sollte man sich erstmal auf die Suche nach den möglichen Ursachen für die bestehende Stoffwechselentgleisung machen. Denn bestenfalls kann man diese beseitigen und dem Pferd helfen, wieder vollständig beschwerdefrei zu werden – und zwar ganz ohne die Gabe von Medikamenten.
Behandlung
PPID ist nicht heilbar. Mit der Gabe von Pergolid (Prascend) können jedoch die Symptome eine Zeitlang unterdrückt werden. Der Wirkstoff ist ein Dopaminrezeptoragonist und greift so in den Hormonhaushalt ein. Die Ausschüttung des ACTHs normalisiert sich dadurch.
Pseudo-Cushing dagegen ist fast immer vollständig heilbar. Mit einer Haltungs- und Fütterungsoptimierung, einer umfangreichen Entgiftung, einer Darmsanierung, korrekter Hufbearbeitung und gezielter Phytotherapie kann der Stoffwechsel wieder ins Lot gebracht werden.
Deswegen sollte IMMER zuerst alles andere versucht werden, bevor man zur Tablette greift. Einmal gegeben, darf man diese nämlich nicht einfach so wieder absetzen, das kann verheerende Folgen haben. Für die Pferde, die wirklich einen Dopaminmangel und ein Hypophysenadenom haben, ist der Wirkstoff Pergolid ein Segen. Aber Fluch und Segen kommen manchmal zugleich daher. Und voreilig gegeben, schadet diese Pille einem Pferd mehr als sie nutzt.
Meine persönliche Meinung zum Thema
In meinen Augen ist PPID – mangels eines eindeutigen Diagnoseverfahrens – die am häufigsten gestellte Fehldiagnose unserer Zeit. Und wir haben es hier mit einem Phänomen aus der Kategorie „Shifting Baselines“ zu tun: Wenn uns etwas häufig genug als normal verkauft wird, dann glauben wir irgendwann, dass es das ist.
In meiner Kindheit und Jugend durften Pferde noch alt werden und einen seniorengerechten Teddypelz schieben, ohne dass man sie gleich misstrauisch beäugt hat. Es war auch allgemein bekannt, dass es im Frühling etwas länger dauert, diesen Pelz wieder loszuwerden, und Pferde jenseits der Zwanzig schon im Spätsommer mit der Produktion des Winterfells starten. Es galt als normal, dass sich im Alter ihr Körper verändert, die Muskulatur abnimmt und es schwieriger wird, die Senioren rundzufüttern.
Heute wird uns erfolgreich weisgemacht, dass das alles Krankheitssymptome sind und man es früher einfach nicht besser wusste. Dadurch hat sich unser Blick auf die Realität komplett verschoben. Sehr zum Leidwesen der Pferde.
Und noch ein weiteres Phänomen unserer Zeit gesellt sich zu der umfangreichen Problematik: die mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und dafür vielleicht mal seine Komfortzone zu verlassen. Wenn wir uns ein Pferd anschaffen, dann sind wir zu einhundert Prozent für das Wohlergehen dieses Lebewesens verantwortlich. Nur wir, niemand sonst. Das ist der Pakt, den wir eingehen. Dazu gehört es auch, dass wir uns gut informieren und das Wohl unseres Schützlings stets im Blick haben. Wenn Probleme auftreten – in welcher Form auch immer – dann sollten wir uns und unser Handeln stets infrage stellen und überdenken.
So eine Stoffwechselentgleisung entsteht nicht über Nacht. Das dauert. Anzeichen dafür, dass etwas nicht im Lot ist, müssen von uns gesehen werden, bevor alles komplett aus dem Gleichgewicht ist. Wer sein Pferd gut kennt und eine innige Beziehung zu ihm pflegt, der merkt sofort, wenn etwas nicht stimmt. Selbst ein Reheschub kündigt sich in den allermeisten Fällen mit ausreichendem Vorlauf an – wenn man weiß, worauf man zu achten hat.
Sind die Symptome für einen Cortisolüberschuss dann „plötzlich“ so deutlich, dass man sie einfach nicht mehr übersehen kann, passiert viel zu häufig Folgendes: Der Tierarzt wird gerufen, das betreffende Pferd hat Hufrehesymptome und zufällig gerade auch noch längeres Fell, weil es schon mitten im Fellwechsel steckt, während die jüngeren Kollegen noch im Sommerfell glänzen. Vielleicht hat es auch körperlich abgebaut, weil seit längerer Zeit nichts mehr mit ihm gemacht wurde. Und schon ist er da, der Verdacht: Ein klarer Fall von ECS oder PPID. Es wird Blut abgenommen, und – oh Wunder – der ACTH-Wert ist erhöht. Es wird eine Packung Prascend gezückt, der Fall ist erledigt. Das Pferd wird für den Rest seines Lebens für unheilbar krank erklärt und darf vielleicht nie wieder mit seiner Herde auf die Weide.
Und jetzt kommt der Punkt, wo ich mir etwas mehr Engagement und Mut wünschen würde. Ist es einmal so weit gekommen, dann ist vorher schon jahrelang etwas schiefgelaufen. Jahre! Doch sich das einzugestehen, würde vielleicht zu sehr wehtun. Deswegen glaubt so manch einer lieber seinem Tierarzt, denn wenn das Pferd unheilbar krank ist, dann kann man ja nichts dafür.
Meiner Version von Verantwortungsgefühl und Pferdeliebe entspricht das nicht. Es sollte zunächst alles dafür getan werden, den entgleisten Stoffwechsel wieder ins Lot zu bringen. Auch wenn das vielleicht bedeutet, sich mit seinem Tierarzt oder Hufschmied auseinandersetzen zu müssen und das der deutlich unbequemere Weg ist. Informiert euch ausreichend und holt euch Hilfe bei Stoffwechseltherapeuten und Hufpflegerinnen oder -pflegern, die sich auf Hufrehe spezialisiert haben, und die in der Thematik auf dem neuesten Stand sind.
Aber vor allem: Schaut ganz selbstkritisch auf die Haltungs- und Fütterungspraxis, die ihr bislang verfolgt habt. Dazu gehören auch die Hufbearbeitung und das Bewegungsmanagement. Und erst, wenn ihr alles probiert habt, wirklich alles, und nichts hilft, solltet ihr zur Tablette greifen. Denn dann gehört euer Pferd vielleicht tatsächlich zu denen, die diese „sehr seltene Erkrankung“, die nur „bei sehr alten Pferden“ vorkommt, auch wirklich haben.
Quellen und weiterführende Links
- Vortrag Cushing mit Dr. Christina Fritz (Sanoanimal): „Cushing – verbreitete Krankheit oder Modediagnose?“ (Youtube)
- Sanoanimal Podcast #26: „ACTH und Cushing – wie ist der Zusammenhang?“ (Youtube)
- Sanoanimal Podcast #27: „Cushing – viel seltener als man denkt.“ (Youtube)
- propferd.at: „Ist Cushing wirklich unheilbar? Interview mit Dr. Patricia Wanas“
- https://de.wikipedia.org/wiki/Morbus_Cushing
- https://flexikon.doccheck.com/de/Pituitary_pars_intermedia_dysfunction_(Pferd)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Equines_Cushing-Syndrom
- https://kristallkraft-pferdefutter.de/blogs/ratgeber/verdacht-auf-hufrehe
- https://www.sandrafencl.com/stellenwert-gesunder-hufe-62/
- https://www.praxisfuertiere.de/hufpflege.html