Jemanden zu respektieren bedeutet, ihn zu achten und wertzuschätzen und dieses Lebewesen - egal ob Mensch oder Tier - so anzunehmen, wie es ist. Ich spreche hier immer von gegenseitigem Respekt, denn respektvoller Umgang ist keine Einbahnstraße. Genauso wie du möchtest, dass deine Bedürfnisse und Eigenschaften berücksichtigt werden, möchte das auch dein Pferd.

Respekt

Auch mit uns selber sollten wir respektvoll umgehen. Welche Bedürfnisse habe ich, wie fühle ich mich, wo liegen meine Stärken und Schwächen, was kann ich körperlich und psychisch leisten und was nicht? Ein respektvoller Umgang hat auch immer viel mit Achtsamkeit zu tun. Und mit Selbstfürsorge. Wo handle ich gegen meine Bedürfnisse und Fähigkeiten, wo könnte ich noch besser für mich sorgen?

Es ist wie bei so vielen Dingen im Leben: Es beginnt bei dir. Wie willst du ein anderes Lebewesen respektvoll behandeln, wenn du das mit dir selber nicht machst? Solange du dir beispielsweise immer zuviel zumutest, wirst du das auch genauso weitergeben, also von deinem Pferd und den Menschen in deinem Umfeld erwarten, dass sie sich „mal zusammenreißen“ oder „nicht so anstellen“. Es ist schwierig sich davon zu lösen, es immer allen recht machen zu wollen und funktionieren zu müssen. In unserer leistungsorientierten Welt scheinen unsere persönlichen Befindlichkeiten nicht erwünscht zu sein.

Im Umgang mit Pferden hat der Begriff „Respekt“ verschiedene Gesichter. Viele verstehen darunter den bedingungslosen Gehorsam des Pferdes dem Menschen gegenüber und sehen das Ganze als Einbahnstraße. Das heißt: Das Pferd hat den Menschen zu respektieren und Punkt. Diese Leute vertreten die „Alphatiertheorie“ und wollen, dass das Pferd sich ihnen unterordnet.

Man hat sehr lange an das „Alphatierprinzip“ und klare hierarchische Strukturen in einer Herde geglaubt und hat es auch genauso gelehrt, weil man es einfach nicht besser wusste. Aber mittlerweile belegen zahlreiche Studien, dass es keine klaren Hierarchien in einer Pferdeherde gibt, sondern dass das Beziehungsgeflecht der Mitglieder untereinander viel komplexer ist als bislang angenommen. Verhaltensbiologen haben in verschiedenen Studien Dreiecksbeziehungen und kompliziertere Formen als eine lineare Rangordnung beschrieben. Rang ist also keine absolute Position und es ist auch kein Pferd generell dominant, sondern dominantes Verhalten ist immer im Zusammenhang mit einer konkreten Situation zwischen zwei Pferden zu sehen. Mehr zu dem Thema findest du in den Büchern von Marlitt Wendt und Marc Lubetzki.

Die Annahme einer festen Rangordnung in der zwei andere, also der Leithengst und die Leitstute, alle anderen dominieren, ist also mittlerweile überholt. Dennoch gibt es innerhalb einer Herde natürlich „Führungskräfte“, sonst würde das Zusammenleben nicht funktionieren.

Die Herde wählt immer das Tier zum Leittier, das sich durch eine ruhige und ausgeglichene Art auszeichnet und das durch beständiges Verhalten bewiesen hat, dass es für Sicherheit sorgen kann. Pferde, die sich durch aggressives, dominantes Verhalten Respekt verschaffen, stiften Unruhe und verbreiten Angst, weshalb sie eher von den anderen gemieden werden.

Darüber hinaus übernimmt jedes Pferd seinen Neigungen und seiner Veranlagung entsprechend eine bestimmte Aufgabe und somit eine ganz individuelle Rolle in der Herde. So gibt es zum Beispiel die besonders neugierigen und mutigen Pferde, die mögliche Gefahren furchtlos auskundschaften, die verspielten, die für das Unterhaltungsprogramm zuständig sind oder die ruhigen, die für Harmonie und Frieden zwischen den einzelnen Herdenmitgliedern sorgen.

Innerhalb einer Pferdeherde entstehen enge Freundschaften. Diese Freundschaften halten meist ein Leben lang - sofern wir Menschen das zulassen. Befreundete Pferde verbringen viel Zeit miteinander, grasen oder dösen gemeinsam, wedeln sich gegenseitig die Fliegen aus dem Gesicht oder kraulen sich das Fell.

Der soziale Status in einer Gruppe ist also nichts, was das Pferd sich erkämpft, sondern dieser ergibt sich aus dem komplexen Beziehungsgeflecht der einzelnen Mitglieder untereinander. Dabei werden die individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften der einzelnen Tiere genauso berücksichtigt, wie ihre momentane Gemütsverfassung.

„Pferde sind die feinfühligsten Wesen, die man sich nur vorstellen kann. Die Fähigkeiten, ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse mitzuteilen, sich im Gruppenleben einzubringen und damit die Geschicke der gesamten Herde gewinnbringend zu beeinflussen, stützt sich auf ihr ausgeprägtes Kommunikationsgeschick und ihr feines Gespür für die Veränderung von Stimmungen und Gefühlsregungen anderer. Sie sind in der Lage, situationsgerecht zu handeln, andere Lebewesen zu verstehen und sie leben die Werte der Freundschaft, Zusammengehörigkeit, Harmonie und Partnerschaft.“ (Marlitt Wendt)

Die Harmonie in der Herde ist für ein Pferd von größter Wichtigkeit, denn nur eine funktionierende Gemeinschaft bietet Schutz und Sicherheit. Das gilt auch für die kleine Zweiergemeinschaft zwischen Pferd und Mensch.

Nun kommen mir direkt diverse Situationen aus dem alltäglichen Umgang in den Sinn, in denen wir den Pferden nicht respektvoll begegnen. Es beginnt schon damit, wie wir ihren Raum betreten, also den Bereich, in dem sie leben. Wie häufig platzen wir einfach so herein, weil wir genau JETZT Zeit haben und unseren Tag voll durchgeplant haben? Also erwarten wir auch, dass das Pferd genau dann parat steht, wenn wir auftauchen.

Vielleicht ist aber gerade Fütterungszeit oder die Pferde wurden kurz vorher auf die Weide gelassen. Es könnte aber auch sein, dass dein Pferd gerade ein Nickerchen hält oder mit seinem Kumpel Fellpflege macht. Dann ist es auch noch so, dass du wahrscheinlich nicht der einzige Mensch an deinem Stall bist. Es tauchen im Laufe des Tages sicherlich viele Menschen auf und betreten den Raum der Pferde. Und ich finde es wirklich wichtig, dass wir Menschen uns bewusst machen, dass wir eigentlich grundsätzlich immer etwas im Gefüge der Herde durcheinander bringen, wenn wir da sind. Wirklich immer. Bei deiner Tagesplanung sollte also nicht nur dein eigener Rhythmus beachtet werden, sondern auch der deines Pferdes.

Sich gegenseitig zu respektieren und in seinen Bedürfnissen zu achten, führt mit der Zeit zu einer wunderbaren Beziehung, in der sich beide Seiten wohl und auch sicher fühlen, weil sie sich aufeinander verlassen können. Es entsteht eine stabile Basis, ein gutes Fundament, auf das gebaut werden kann. Und das führt letztlich zu dem von uns angestrebten harmonischen Miteinander.

Freude

Freude

Achtsamkeit

Achtsamkeit

Respekt

Respekt

Miteinander

Miteinander